Montag, 9. Januar 2017

Taktische Entwicklung (Teil3)



Ballbesitz

Zehnerraum/Gegenpressing

Louis Van Gaal hat einst das „4Phasen Modell“ entwickelt. Demnach gliedert sich ein Fussballspiel in vier sich immer aufeinander aufbauenden und wiederholden Phasen:

Phase Ballbesitz -> Phase Umschalten auf Gegner Ballbesitz -> Phase Ballbesitz Gegner ->
Phase Umschalten auf Ballbesitz

Pep Guardiola hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Gegenpressing“ eingeführt. Dabei handelt es sich um eine neue separate Phase die zwischen den beiden Phasen „Ballbesitz“ und „Umschalten auf Gegner Ballbesitz“ einzuordnen ist. Die Mannschaft, welche den Ball verloren hat schaltet nicht auf „Gegner Ballbesitz“ um, sondern versucht sofort den Ball zurückzuerobern.

Für dominante, proaktive ausgerichtete Mannschaften ist ein gutes Gegenpressing essenziell um dem eigenen Dominanzanspruch gerecht zu werden. Begünstigt wird dies durch vorteilhafte, ausgewogene Staffelungen bei eigenem Ballbesitz, welche es erleichtern sich im Moment des Ballverlustes schnell zu formieren um dem Gegner sofort das Spielgerät streitig zu machen.

Dabei ist Gegenpressing nicht dem herkömmlichen Nachsetzten zu verwechseln. Es handelt sich hierbei um ein gruppentaktisches Element, da fast alle Spieler am Prozess der direkten Ballrückeroberung teilnehmen. Es wird nicht nur der Ballführende unter Druck gesetzt, sondern weitere Mitspieler verknappen den Raum, stellen die Passwege zu oder setzten mögliche Anspielstationen unter Druck. Im Optimalfall wird der Ball sofort zurückerobert und man kann den Gegner, der sich gerade nach vorne orientiert hat, direkt gefährlich attackieren (vgl. Rafelt 2016, 65).

Das vom SV Sandhausen gewählte 4-4-2 System bringt dabei allerdings einige strukturelle Schwächen mit sich. Es werden zwar die Halbräume und die Außen (sogar doppelt) besetzt, allerdings bleibt das Zentrum frei. Durch den Mangel an diagonalen Passoptionen werden die Spieler voneinander isoliert und somit Kombinationsmöglichkeiten im Passspiel beschnitten. Außerdem fehlen im Zentrum und dem Halbraum Dreiecksformationen, wodurch die Abstände im Normalfall größer sind (vgl. Henselmann/Maric 2015, 133).

Sandhausen versucht diesen strukturellen Nachteil durch ein dynamsiches Besetzten des Zehnerraums zu beheben. Höler, Kulovits, sowie die beiden Flügelspieler und Kulovits orientieren sich vor allem in Anschluss an lange, hohe Bälle aus der ersten Linie ins Zentrum und nehmen Duelle um zweite Bälle auf. Da insbesondere deren Pendants breiter und höher orientiert waren, konnte der SVS so teilweise Überzahl im strategisch wichtigen Zehnerraum erreichen. Gelang ihnen dabei eine Balleroberung, können sie direkt auf einen unsortierten Gegner anspielen und einen schnellen Torabschluss aus aussichtsreicher Position provozieren. 


-      Kosecki und Pledl rücken weit nach innen und sorgen für vorteilhafte Gegenpressingstrukturen


Fazit/Ausblick

Spätestens nach der Länderspielpause konnte man die Handschrift Kenan Kocaks erkennen. Die Umstellung von 4-2-3-1 auf 4-4-2 lässt sich eventuell dadurch erklären, dass die Mannschaft nach Ballverlust bzw. bei gegnerischem Aufbau leichter in die Defensivformation zurückkehren kann.

Strategisch lässt sich erkennen, dass der SVS nun wesentlich intensiver und höher presst und somit auch regelmäßiger zu Ballgewinnen in hohen Zonen gelangen kann. Das Pressing wirkt insgesamt wesentlich kohärenter, die Viererkette um Daniel Gordon schiebt entschlossener nach vorne und lässt keine Lücken in den Zwischenräumen. Besonders gut funktioniert diese Spielweise gegen individuell schwach besetzte Innenverteidiger, die entweder sehr früh zum langen, unkontrollierten Ball greifen, oder Fehlpässe verursachen.

Die Hereinnahme von Linsmayer hat das Aufbauspiel stabilisiert und strukturiert. Die Außenverteidiger können nun geregelter ins zweite Drittel aufrücken und den Flügelspielern das Einrücken in die Halbräume ermöglichen.

Die enorme Kompaktheit macht den SVS allerdings anfällig für ballferne Diagonalläufe. 
Greuther Fürth nutzte die Halbraumfokussierung der ballfernen Flügelspieler geschickt aus und konnte dadurch einige Mal in den Zwischenlinienraum eindringen.

Eine weitere Herausforderung stellt das Verhalten der Mannschaft nach überspieltem Pressing dar. St. Pauli gelang dies durch flexible Überladungen der eigenen ersten Linie relativ gut. Sandhausen hatte in Anschlussaktionen Probleme erneut Zugriff herzustellen und lies sich phasenweise weit zurückdrängen.



Quellen
Henseling, Marco/Maric, Rene (2015): Fußball durch Fußball. Das Trainerhandbuch von Spielverlagerung.de. Göttingen
Rafelt, Martin (2016): Vollgasfussball. Die Fußballphilosophie des Jürgen Klopp. Göttingen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen